Am Freitagabend planen wir eine Freeridetour ins Vallée Blanche in Chamonix. Bis jetzt ist nur klar, dass wir um Viertel vor vier in der Früh von Zürich mit dem Auto losfahren werden. Über den Rest des Weekends sind wir uns noch nicht einig. Phantom möchte das Wochenende auf dem Gletscher bei Aiguille du Midi mit dem Zelt übernachten. Roman und ich sind nicht ganz so begeistert von der Vorstellung, bei -19°C auf 3600m über Meer eine Nacht zu verbringen.
In der Zwischenzeit ist mir bewusst geworden, das am Samstag Vollmond ist. Daher ist mein Vorschlag, mit der ersten Gondel hoch zur Aiguille du Midi auf 3842m. Dann eine erste Abfahrt durchs Vallée Blanche nach Chamonix und anschliessend wieder hoch, dort warten bis es dunkel ist und dann eine Vollmondabfahrt.
Mittlerweile ist es schon spät und wir müssen morgen früh los. Wir entschliessen uns, nichts zu entscheiden, aber alles mitzunehmen. Also packen wir noch husch alle Schlafsäcke, die wir finden können und ein Zelt ins Auto. Danach hauen wir uns noch ein paar Stunden aufs Ohr, bevor es losgeht.
Die 300km lange Fahrt nach Chamonix geht wie im Flug vorbei, denn ich schlafe hinten im Auto. Um halb acht stehen wir bereits an der Talstation von der Gondel und lösen für 67 Euro eine Tageskarte. Hier hängt auch schon ein grosses «Camping verboten» Schild. Wir haben uns ohnehin entschieden einmal hochzufahren und die Lage oben genauer anzuschauen. Bevor wir entscheiden was danach geschieht. Hier oben geht die Sonne auf und wir geniessen die super Aussicht.
Ich bin etwas verwirrt, da relative wenig Freerider hier oben sind. Der steile Abstieg zum Gletscher ist gut gesichert und nicht vereist, deshalb montieren wir die Steigeisen nicht. Auf dem Gletscher ziehen wir die Skier und Snowboards an und zeichnen wunderschöne Spuren in den unberührten Pulverschnee. Alles scheint perfekt zu sein! Leider verschlechtert sich der Schnee schon bald. Anfangs wir er härter und verfahrener, aber spätestens auf der Höhe der Schutzhütte Réfuge de Réquin (2516m) merke ich, das was fehlt. Der Gletscher hier oben, ist deutlich kleiner als noch vor 2 Jahren, die Gletscherbrocken sind bei weiten nicht mehr so imposant. Je weiter wir nach unten kommen, desto schwieriger wird die Fahrt. Grössere blanke Eisflächen müssen überwunden werden. Ich hätte mal besser die Schlittschuhe eingepackt als die Steigeisen. Im flachen Teil vom Mer de Glace ist nicht mehr viel vom Gletscher übrig, immer wieder müssen wir die Skier ausziehen, um Gletscherspalten aus Blankeis zu überwinden. Schnee liegt fast keiner, dafür viele Steine. Die letzten par hundert Meter zur Eisgrotte müssen wir auf der praktisch eisfreien Moräne herunterlaufen. Spätestens jetzt ist uns klar wieso fast keine Freerider unterwegs sind.
Wir hätten uns besser informieren sollen, wie die Bedingungen sind. Aber ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass ein so grosser Gletscher in nur zwei Jahren praktisch verschwinden kann. Frustriert brechen wir unsere Vallée-Blanche-Tour hier ab. Wir laufen mit einem Handvoll Touristen von der Eisgrotte, die 400 Treppen hoch zur Schwebebahn und fahren dann mit der Zahnradbahn nach Chamonix.
Um 12 Uhr verkaufen wir unsere Tageskarten für 50 Euro in der Talstation der Aiguille du Midi Bahn. Nach einem kurzen Besuch im Dorf, fahren wir frustriert nach Hause.
Letztes Jahr sind wir am Morgen von Zürich gestartet, sind die Abfahrt durch die Vallée Blanche gefahren und abends wieder nach Zürich zurückgekehrt. Damals waren wir uns schon einig: wir werden nächstes Jahr wieder kommen.
Diesmal nehmen wir uns etwas mehr Zeit, wir fahren am Freitagnachmittag los. Nach dem Abendessen in Chamonix suchen wir unsere Airbnb Unterkunft in les Houches. Ein kleines, sehr hübsch eingerichtetes Appartement. Der Vermieter ist ein sehr sympathischer junger Italiener. Er staunt über unser Vorhaben, die Vallée Blanche zu fahren. Er traut es uns anscheinend ohne Tourenguide nicht ganz zu. Bald merkt er, aber dass wir nicht das erste Mal hier sind und auch schon auf dem Mont Blanc gestanden sind.
Morgens um 8:00 Uhr bei der Talstation herrscht eine ganz spezielle Stimmung. Bei der Gondel stehen lauter freeride Freaks, top ausgerüstet, mit langen und sehr breiten Skis. Oben bietet uns der Sonnenaufgang einen traumhaften Ausblick in die höchsten Berge der Alpen. Nur schon für diesen Augenblick hat es sich gelohnt jetzt hier oben zu stehen. Es herrschen ca. -16°C ist aber ziemlich windstill und somit fühlt es sich an der Sonne nicht so kalt an. Etwas mehr als eine Stunde geniessen wir die Aussicht hier oben, dann machen wir uns bereit für den steilen Abstieg auf den Gletscher. Wir ziehen die Steigeisen an, binden die Skis auf die Rucksäcke und binden uns ans Seil. Mittlerweile ist die dritte Gondel- voll mit Freeridern- hier oben angekommen. Dementsprechend viele Seilschaften stehen nun vor und hinter uns auf dem Grat, der sehr steil von der Bergstation Aiguille du Midi (3800m) auf den Gletscher führt. Nicht wenige, die keine Steigeisen dabei haben drehen hier um.
Auf dem Gletscher bereiten wir uns endlich auf die 22 km lange Abfahrt vor (10:30Uhr). Bei meinen ersten Schwüngen auf dem Gletscher staune ich nicht schlecht ab dem feinen Pulverschnee, der hier liegt. Auf dem Glacier du Géant sind nur noch vereinzelt Freerider zu sehen, das Gebiet ist riesig, mit diversen Abfahrtsvarianten. Dies ist um ein vielfaches abenteuerlicher als Skifahren in einem Skigebiet. Von der Schutzhütte Réfuge de Réquin (2516m, 11:30Uhr) aus sehen wir: es liegt noch Schatten im Tal. Also warten wir hier oben noch einmal auf den Sonnenaufgang. Nun geht es weiter runter zum Mer de Glace, da suchen wir eine geeignete Stelle um Spaltenrettung zu trainieren. Wenn wir das gesamte Equipment schon hier hoch getragen haben, wollen wir es wenigstens auch einmal ausprobieren. Das macht nicht nur Spass, es zeigt auch einige Probleme, die zuhause in der warmen Stube nicht so auftraten (Eisschrauben, die nur schwer einzudrehen sind, kalte Finger, kein Halt auf dem blanken Gletscher ohne Steigeisen usw.).
Um 14:00 Uhr machen wir uns bereit zur Weiterfahrt denn wir haben noch ein Rendezvous mit Denise am Ende des Gletschers bei der Eisgrotte. Jetzt passiert mir ein Missgeschick, ich führe unsere Gruppe an der Eisgrotte vorbei. Da es hier in diesem Jahr schon wieder ganz anders aussieht als letztes Jahr. Entweder schwindet der Gletscher so schnell, oder ich war einfach zu schnell unterwegs. Auf jeden Fall müssen wir ein ganz schönes Stück zurück steigen. Spätestens jetzt würde die Stimmung in einer Gruppe ins Wanken kommen, aber nicht bei diesem Trupp. Die sind wahrhaft hart im nehmen, so macht es echt Spass! Die Anstrengung hat sich gelohnt, die Eisgrotte ist nicht schlecht, aber noch besser hat mir die zerfallene Grotte vom Vorjahr gefallen.
Von hier aus könnte man die 400 Stufen hoch zur Schwebebahn (vor 20 Jahren reichte diese bis zum Gletscher, jetzt muss sie mittels der Treppe etwa 130m überwunden werden, so stark ist der Gletscher zurückgegangen) und dann mit der Zahnradbahn nach Chamonix. Aber wir ziehen es durch und fahren weiter hinunter, jetzt nicht mehr auf dem Gletscher. Leider nur noch ein kurzes Stück, dann müssen wir die Skis wieder auf den Rucksack schnallen und nehmen den Aufstieg zu Fuss (gut markiert) in Angriff. Oben bei der Cabanne des Mottes angekommen, steht die Buvette des Mottets (1638m, 16:00 Uhr), bei dem man sich verpflegen und noch einmal so richtig die Sonne geniessen kann. Bevor es von da mit den Skis mehrheitlich auf Waldstrassen hinunter nach Chamonix geht (1000m,16:30 Uhr).
Im Norrona Sportshop in Chamonix treffen wir unseren Vermieter der dort arbeitet. Der fragt uns: wie oft seit ihr heute die Vallée Blanche gefahren? Wie oft? Wir sind einmal gefahren und fix und fertig, aber sehr glücklich.
Tagwacht ist um 3:30, um 4:15 fahren wir in Zürich ab. Nach Chamonix sind es 300 Km um diese Zeit hat es keinen Verkehr auf der Autobahn, dafür fast auf der gesamten Strecke Nebel. Kurz vor acht stehen wir komplett ausgerüstet in der Talstation der Aiguille du Midi Bergbahn. Da fragt mich mein Sohn Roman, ob ich mit diesen Schuhen kommen will. Ich schaue fragend hinab und sehe meine Halbschuhe. Nach einem kurzen Sprint zum Auto, wo ich auf Skischuhe wechsle, geht es hoch mit der Bahn. In der Gondel sind lauter gut ausgerüstete Hochgebirgesskifahrer, mit Klettergurt, Seil und Eisschrauben bewaffnet. Auf dem Aiguille du Midi ist es recht Kalt ca. -15°C.
Eines der Highlite an dieser Tour beginnt gleich hier beim Abstieg von Aiguille du Midi auf den Gletscher. Bereits nach den ersten Schwüngen wird klar, dass wird heute keine leichte Sache, aber die Aussicht ist herrlich. Über die klassische Route umfahren wir den gros Rognon zum Glacier du Tacul Gletscher hinunter. Mit einem Abstecher ins Refuge du Requin gönnen wir uns eine Pause.
Danach geht die Reise weiter über das Mer de Glace, wo wir bei ein paar besonders schönen Gletschern noch einwenig Spaltenrettung üben. Unten bei der Grotte de glace hat es nicht mehr viel Schnee. Deshalb entschliessen wir uns die vielen Treppen hoch zur Bahn zu steigen, was mit müden Beinen recht anstrengend ist . Oben an der Bergstation gibt es zwei Möglichkeiten, entweder mit der Zahnradbahn nach Chamonix oder irgendwie durch den Wald mit den Skis. Die Strecke durch den Wald ist nicht zu empfehlen, aber sie war sehr speziell. Unten kommen wir wieder in die eigentliche Route.
Nach dem Vallée Blanche gönnten wir uns in Chamonix noch ein richtiges Abendessen und fuhren anschliessend noch nach Zürich, wo wir um 22:30 ankamen.
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